Menschliche Nähe bleibt unersetzlich

Auch wenn ein Besuch im Augenblick nicht möglich ist, so lohnt zumindest der Blick über den Gartenzaun auf das Grundstück auf dem Kattenberg mit der Hausnummer 36. Ein Steinwurf von der historischen Stommeler Windmühle entfernt steht seit 2015 das Paul Kraemer Haus Stommeln, eine von insgesamt fünf Wohnstätten für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung der Gold-Kraemer-Stiftung im Rhein-Erft-Kreis. Lia Steinberger, die stellvertretende Leiterin des Hauses, hat sich zusammen mit ihren Kolleg*innen und einigen der Hausbewohner*innen auf der großen Wiese hinter dem Haus verabredet. Bei frischem, aber sonnigem Wetter spielen sie Wikinger-Schach.

„Das Spiel ist eine Neuentdeckung und in diesen Tagen ein absolutes Highlight von uns“, berichtet Lia Steinberger, die froh darüber ist, dass in Zeiten der Corona-Krise die Kreativität im Haus nicht leidet. „Es ist für die Mitarbeitenden und für alle Hausbewohner*innen eine wirklich große Herausforderung, den gesamten Tag über im Haus sein zu müssen“, sagt sie und fügt eine wichtige Erkenntnis hinzu, „wir haben aber jetzt viel mehr Zeit, in der wir uns ein Stück weit auch alle neu kennenlernen“. Der Alltag ist auf den Kopf gestellt. Kontakte zu den Eltern und weiteren Verwandten gibt es aus Sicherheitsgründen derzeit nicht. Dabei tun sich die Eltern mit der Distanz wesentlich schwerer, als ihre erwachsenen Kinder, die zum Teil schon seit vielen Jahren in den Paul Kraemer Häusern leben.

Dass jetzt vor allem eine sehr intensive Zeit gemeinsam gelebt werden kann, liegt auch an der Unterstützung durch die Kolleg*innen aus den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Diese sind seit zwei Wochen geschlossen, so dass alle Teams in den Paul Kraemer Häusern eine dringend notwendig gewordene personelle Verstärkung bekommen haben. Personal stellen zurzeit die Reha-Betriebe Rhein-Erft, die WIR-Werkstätten Hürth, die Gemeinnützigen Werkstätten Köln, die Caritas Wertarbeit und Gut Frohnhof.

Für alle im Haus gilt nun, sich im Alltag neu zu finden oder auch zu erfinden. So kommt manch einer zu ungeahntem kreativem Schaffen. Die anstehende Osterzeit ist auch Bastelzeit. Gerade jetzt, wo feststeht, dass man seine Angehörigen nur über Telefon oder Skype treffen wird, ist der Wunsch groß, sich zumindest gegenseitig zu beschenken, zum Beispiel mit bunten Ostereiern oder Sträußen.

Dieser Tage hat sich ein ganz neues Projekt aufgetan. Mitarbeiter Magnus Weiss, selber Künstler, entwickelte die Idee, eine sechs Meter lange Betonmauer im Garten neu zu gestalten. Dazu werden geeignete Materialien, wie alte Fliesen, buntes Geschirr, Glassteine in allen Variationen oder Muscheln und formschöne Steine gesammelt. Aus diesen Materialien entsteht jetzt ein eigenes Kunstwerk, eine buntes fast 20 Quadratmeter großes Mosaik. Es wird eines Tages ein ganz besonderes Zeitzeugnis sein, das die Hausbewohner*innen und Mitarbeiter*innen des Paul Kraemer Haus an eine Corona-Krise erinnert, die für das Haus neben allen Herausforderungen auch viele neue und positive Aspekte gebracht hat.

Derzeit sind alle Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen gesund und das soll auch so bleiben. Für dieses Ziel arbeiten die Kolleg*innen in der Verwaltung in Frechen mit den fünf Häusern täglich eng zusammen. Im Besonderen geht es hier um die Ausstattung der Häuser mit allen notwendigen Schutz-, Hygiene- und Desinfektionsmaterialien. Auch hier ist man sehr kreativ – gezwungenermaßen. Denn vorgeschriebene Artikel lassen sich auf dem herkömmlichen Weg nicht mehr ohne weiteres besorgen. Hilfe erhielt die Gold-Kraemer-Stiftung dieser Tage aus der freien Wirtschaft von Unternehmen aus der Region. „Die Firmen haben mit ihren derzeit nicht aktiven Produktionsstellen unbürokratisch und schnell geholfen“, erklärt Herbert Frings, Geschäftsführer der Paul Kraemer Haus gGmbH. Die 100% Tochter der Gold-Kraemer-Stiftung ist Dienstleister in der Eingliederungshilfe und Betreiber der Wohnhäuser. „Wir möchten in der öffentlichen Diskussion um Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen ganz besonders den Blick auf die außergewöhnliche und herausfordernde Situation für die Leistungsanbieter in der Eingliederungshilfe richten. Was dieser Tage für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen gilt, gilt in gleichem Maße auch für Wohnstätten für Menschen mit Behinderung. Auch hier leben Personen, die zu den Risikogruppen gehören und ganz besondere Hilfe brauchen“, so Herbert Frings weiter.

Inzwischen läutet der beginnende Sonnenuntergang auf dem Kattenberg langsam den Abend ein. Für das Osterwochenende haben sich die insgesamt 26 Bewohner*innen des Paul Kraemer Haus Stommeln aber schon wieder verabredet. Wenn das Wetter es erlaubt, wird wieder Wikinger-Schach gespielt. Freude bereitet den Hausbewohner*innen aber auch das gemeinsame Essen in den kleinen vier bis sechs Personen großen Wohngruppen. Den traditionellen Einkauf für die Versorgung am Wochenende übernehmen in den Corona-Zeiten immer Zweierteams, ein/e Bewohner*in und ein/e Mitarbeiter*in. Innerhalb der Wochen versorgt das stiftungseigene Bistro „Vielfalt“ in Frechen-Buschbell alle Häuser mit frischgekochtem Mittagessen.

Jetzt steht Ostern vor der Tür. Und auch, wenn es nicht nach Hause geht und auch kein Besuch empfangen werden kann, freuen sich alle auf die bevorstehenden Feiertage. Einige der bemalten Ostereier werden übrigens nicht verschenkt, sondern an Ostersonntag im Garten versteckt. So, wie es sich gehört.

Gold-Kraemer-Stiftung

Paul-R.-Kraemer-Allee 100
50226 Frechen

Tel. 02234-93303-0
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