Im Alter von nicht ganz 14 Jahren trat Paul Kraemer am 23. April 1930 als Lehrling in den Goldschmiedebetrieb von Heinrich Pilartz ein. Diese Berufswahl verrät einiges über den jungen Mann: Die Goldschmiedekunst verlangt Kreativität, Phantasie, Geduld und ein ausgeprägtes handwerkliches Geschick, aber auch ein gewisses Maß an körperlicher Kraft, um Arbeiten wie Schmieden, Walzen oder Ziehen bewältigen zu können. All diese Voraussetzungen erfüllte der junge Paul Kraemer, und auch ein gewisser Ehrgeiz darf vermutet werden, denn wer aus einfachen Verhältnissen stammte, hatte es schwer, zu einer Goldschmiedeausbildung zu gelangen. Paul Kraemer hatte es also in einen recht exklusiven Beruf geschafft, in dem er seine Talente sehr gut zur Geltung bringen konnte. Dies umso mehr, als Heinrich Pilartz in den 1920er und 1930er Jahren zu den führenden Goldschmieden in Köln zählte.
Vier Jahre nach seinem Eintritt bei Pilartz legte Paul Kraemer die Gesellenprüfung ab. Bis Anfang 1936 blieb er noch im Unternehmen, dann wechselte er zu Wilhelm Gau. Dort musste er seine Arbeit von April bis Oktober 1937 für den obligatorischen Reichsarbeitsdienst und im November 1938 für den obligatorischen zweijährigen Wehrdienst unterbrechen. Zwischenzeitlich durfte er jedoch die Meisterschule absolvieren – am 28. April 1939 wurde er zu Deutschlands jüngstem Goldschmiedemeister gekürt. In seinem Beruf konnte er allerdings erst nach der Ableistung der Wehrpflicht am 4. November 1940 wieder arbeiten. Den Meisterbrief in der Tasche, kehrte er für kurze Zeit zu seinem alten Arbeitgeber Wilhelm Gau zurück, bevor er sich am 2. Februar 1941 mit der „Werkstatt für Goldschmiedekunst“ selbstständig machte.
Eine bemerkenswerte „Start-up“-Geschichte in finsteren Zeiten: Der nahezu mittellose Paul Kraemer legte einen bemerkenswerten Durchmarsch hin und eröffnet mitten im Zweiten Weltkrieg ein eigenes Geschäft. Was heute ohne weiteres möglich ist, war vor 80 Jahren mehr als ungewöhnlich.
Von Anfang an bevorzugte Paul Kraemer zentrale Lagen. So lag die erste Werkstatt in der Neuen Langgasse Nr. 26, einer Seitenstraße der vornehmen Glockengasse. Finanziell wurde er von seinen zukünftigen Schwiegereltern unterstützt: Schon eine Weile war er mit Käthe Hogut liiert, einer kaum zwanzigjährigen kaufmännischen Angestellten im öffentlichen Dienst. Diese Verbindung sollte sich als äußerst zukunftsfähig erweisen, denn die beiden liebten sich, und die Beziehung führte zwei Talente zusammen: sein handwerkliches Können und seine Kreativität mit ihrem kaufmännischen Geschick. Zunächst mussten sie ihre gemeinsamen Pläne allerdings auf unbestimmte Zeit verschieben, denn als Nazi-Deutschland im Juni 1941 die Sowjetunion angriff und eine neue, unkontrollierbare Front im Osten eröffnete, wurden alle verfügbaren Kräfte gebraucht. Auch Paul Kraemer musste im Herbst 1941 Köln, seine Verlobte und sein junges Geschäft Richtung Russland verlassen. Erst im Juni 1943 würde er zurückkehren, um seiner Käthe das Ja-Wort zu geben.
Die Stadt, in die Paul Kraemer aus Ostpreußen zurückkehrte, war nicht mehr die Stadt seiner Kindheit und Jugend. Nur noch 40.000 Menschen lebten in den Ruinen. Fast die gesamte Altstadt, darunter auch Kraemers Elternhaus am Heumarkt, war zerstört. 40 Millionen Kubikmeter Schutt mussten beseitigt werden. Kraemer packte mit an: 1946 und 1947 versah er je einen eintägigen Ehrendienst bei der Schuttaktion der Stadt Köln.
Im Sommer 1945 arbeitete Paul Kraemer mit Hochdruck daran, an seinen Erfolg als selbstständiger Goldschmiedemeister anzuknüpfen. Am 1. September 1945 eröffnete er am Neumarkt 47 eine „Reparaturwerkstätte für Goldwaren sowie Neuanfertigung“, doch schon bald benötigte er mehr Platz. Kraemer zog in ein durch Kriegseinwirkung in Mitleidenschaft gezogenes Gebäude an der Ecke Gereonshof/Von-Werth-Straße, ganz in der Nähe des vornehmen Kaiser-Wilhelm-Rings. Hier betrieb er nach amtlicher Genehmigung eine „Verkaufsstelle für Bestecke, Korpuswaren, Tafelgeräte und Schmuckwaren“. Kraemer hatte erkannt, dass die Menschen trotz aller Not auf ihren Schmuck nicht verzichten wollten.
„Gold und Schmuck mochten die Leute immer, sie brachten alte Sachen und ließen sie umarbeiten, Motto: Aus alt mach neu“,
erzählte der geschickte Goldschmied anlässlich seines 65. Geburtstages rückblickend.
Das Unternehmen wuchs schnell: Bereits 1948 beschäftigte Kraemer 14 Goldschmiede, zwei Uhrmacher und eine Poliseuse. Darunter waren auch ehemalige Soldaten, die mit Kraemer im Krieg waren; in der zerstörten Stadt mit ihrer brachliegenden Wirtschaft hätten sie sonst nur schwer eine Anstellung gefunden.
1949 eröffnete Kraemer ein Geschäft auf der Schildergasse. Damit stieg er sozusagen in die oberste Liga des innerstädtischen Gewerbes auf. Anders als in der Hohe Straße, in der auch zahlreiche exklusive Geschäfte und Boutiquen angesiedelt waren, kaufte hier die Masse der Bevölkerung ein. Diese Standortwahl erwies sich später als wegweisend für die Expansion des Unternehmens. Heute gilt die Schildergasse als eine der meistfrequentierten Einkaufsstraßen Europas – und nach wie vor steht hier das Stammhaus der Unternehmensgruppe.
Schon 1951 genügten die räumlichen Verhältnisse in dem notdürftig wieder hergerichteten Haus den Bedürfnissen des wachsenden Unternehmens nicht mehr. Ein Neubau wurde errichtet, in die obere Etage zogen die Büroräume ein. Das Wachstum ging unvermindert weiter: 1955 wurde das gesamte, bis dahin teilweise vermietete Erdgeschoss für den eigenen Verkaufsraum benötigt – und das, obwohl Kraemer 1953 auf der Hohe Straße, wenige Schritte vom Stammhaus entfernt, ein weiteres Geschäft eröffnet hatte.
Nach der Zeit der Entbehrungen durch Krieg und Zerstörung wollten die Menschen endlich wieder ihre Bedürfnisse stillen. Der Einzelhandel profitierte von der neuen Konsumlust und Kaufkraft. Mit seiner Geschäftsidee, günstigen Schmuck für eine breite Käuferschicht anzubieten, war Paul Kraemer in den Wirtschaftswunderjahren zur goldrichtigen Zeit am richtigen Ort.